Adventsgeschichte 16: Der Spiegel der Wahrheit

Nach einer langen Wanderung führte der Pfad die Kinder zu einer dunklen, geheimnisvollen Höhle. Vor dem Eingang wehte eine kalte Brise, und ein seltsames Schattenspiel tanzte an den Wänden am Eingang.

„Glaubst du, wir müssen da rein?“ fragte Ben zögernd.

Mia nickte. „Die Lichtkugel zeigt nach vorne. Ich denke, es gibt keinen anderen Weg.“

Ben atmete tief durch, und gemeinsam traten sie in die Höhle. Das goldene Licht ihrer Kugel warf flackernde Schatten an die glatten Felswände, und das Geräusch ihrer Schritte hallte durch den engen Tunnel.

Plötzlich weiteten sich die Gänge, und sie standen in einer großen Kammer. In der Mitte der Höhle befand sich ein hoher, antiker Spiegel, eingerahmt von glitzernden Kristallen, die das Licht der Kugel verstärkten.

„Was ist das?“ flüsterte Ben, während sie vorsichtig näher traten.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Mia. „Aber er sieht… lebendig aus.“

Als sie vor dem Spiegel standen, begann die Oberfläche sich zu bewegen, als ob sie aus flüssigem Silber bestünde. Eine Stimme erklang, tief und eindringlich:

„Tretet vor, Kinder. Seht euch selbst. Der Spiegel zeigt euch, wer ihr wirklich seid – eure Ängste und eure Stärken.“

Mia und Ben tauschten einen besorgten Blick.

„Ich weiß nicht, ob ich das sehen will“, sagte Ben leise.

„Vielleicht müssen wir“, erwiderte Mia. „Der Kompass hat uns gelehrt, auf unser Inneres zu vertrauen. Vielleicht hilft uns der Spiegel, uns selbst besser zu verstehen.“

Mit zitternden Händen trat Mia als Erste näher.

Die spiegelnde Oberfläche wurde klar, und Mia sah sich selbst – doch sie war nicht allein. Um sie herum standen Menschen, die sie enttäuscht oder übersehen hatten. Sie hörte die leisen Stimmen ihrer Zweifel: „Was, wenn du niemals findest, wonach du suchst? Wenn du nie zeigen kannst, was du alles zu geben hast? Was, wenn niemand sieht, wer du wirklich bist?“

Mia spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Doch dann sah sie etwas anderes: sich selbst, wie sie anderen half, wie sie mit ihrer Zuversicht und Güte ein Leuchten in die Gesichter anderer brachte.

„Ich bin mehr als meine Zweifel“, flüsterte sie.

Plötzlich verschwanden die negativen Bilder, und der Spiegel zeigte ihr Spiegelbild, genau so wie sie war.

Ben trat unsicher vor. Die Oberfläche des Spiegels bewegte sich erneut, und er sah sich selbst, wie er zögerte, zurückblieb und sich von anderen überholen ließ. Die Stimmen wurden laut: „Du bist nicht mutig genug. Du wirst immer zurückbleiben.“

Ben wollte wegsehen, doch er zwang sich, stehenzubleiben. Dann änderte sich das Bild. Er sah sich selbst, wie er Mia half, die Sterne zu befreien, wie er Hindernisse überwand und mutig voranging.

„Ich bin nicht schwach“, sagte er, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich habe Mut – ich muss ihn nur nutzen.“

Das Bild im Spiegel verschwand, und Ben spürte, wie sich etwas in ihm löste.

Die Stimme des Spiegels ertönte erneut: „Ihr habt eure Wahrheit gesehen. Nutzt eure Stärken, um euren Weg weiterzugehen.“

Plötzlich begann der Spiegel zu leuchten, und aus seiner Oberfläche trat ein neuer Stern hervor. Er schwebte zwischen den Kindern, schimmernd und rein.

„Noch ein Stern!“ rief Ben.

Der Stern schwebte in der Luft, sein Licht so hell und klar, dass es die Schatten der Höhle zurückdrängte. Für einen Moment standen Mia und Ben einfach nur da, überwältigt von der Schönheit des schimmernden Wunders, das sie aus dem Spiegel der Wahrheit befreit hatten. Doch dann verdichteten sich die Schatten an der Wand. Sie zogen sich zusammen, formten eine Gestalt – groß, bedrohlich, und doch irgendwie schemenhaft, als würde sie aus Rauch bestehen und bevor die Kinder den Stern erreichen konnten, griff die Schattengestalt nach ihm und eine Stimme erklang rauchig und heiser ;” Ihr könnt den Stern nicht befreien, Eure Zweifel sind stärker als ihr glaubt.”

„Das ist nicht echt“, rief Mia. „Es ist wie der Nebel – nur eine Illusion!“

Doch der Schatten griff nach dem Stern, und Ben zögerte.

„Was, wenn nicht?“ fragte er.

Mia sah ihn fest an. „Glaub an dich, Ben. Du hast es gerade gesehen – Wir sind mutig und schlau.

„Ja! Wir lassen uns nicht täuschen.“ Ben richtete sich entschlossen auf.

Die Schattengestalt bewegte sich, langsam und mit einer seltsamen, schlängelnden Eleganz, und streckte eine klauenartige Hand nach dem Stern aus. Das Licht des Sterns flackerte kurz, als hätte er die Berührung der Dunkelheit gespürt.

“Ben, sie will ihn nehmen!“ rief Mia entsetzt.

„Nein, kann sie nicht!“ Ben packte Mias Hand. Er spürte ihr Zittern und hielt sie fest. „Der Stern gehört nicht in diese Höhle, er gehört an den Himmel.“

Wie um seine Worte zu bestätigen, begann der Stern zu leuchten – ein helles, warmes Licht, das die Schatten zurückdrängte. Die Gestalt fauchte, ein heiserer, klagender Laut, und zog sich zurück, doch ihre langen, dürren Arme griffen weiter nach dem Licht des Sterns. Der Stern setzte sich in Bewegung und schwebte voraus, sein warmes Licht wie eine Laterne in der Dunkelheit. Mia und Ben folgten ihm, eng nebeneinander, während sie die Lichtkugel hochhielten. Die Kugel strahlte stärker als je zuvor, als hätte sie die Kraft des Sterns aufgenommen und vervielfacht. Doch es war nicht nur die Kugel, die leuchtete – Mia spürte, wie ein warmes Glimmen tief in ihrem Herzen erwachte, es wanderte bis in ihre Mitte und als sie zu Ben hinübersah, wusste sie, dass er es auch fühlte.

„Wir müssen unser Licht stark halten,“ sagte sie leise, aber fest.

Ben nickte, er wirkte ganz ruhig und sehr klar. „Ich spüre es, Mia. Es wird stärker”

Die Schatten an den Wänden wanden sich, zischten, und griffen nach ihnen, doch die vier Lichtquellen – der Stern, die Kugel, und das innere Leuchten der beiden Kinder – trieben sie zurück.

„Schneller,“ flüsterte Mia, doch Ben hielt sie zurück.

„Nein, ruhig bleiben. Das Licht ist stark, wenn wir es zusammen halten.“

Der Stern führte sie sicher durch die verwinkelten Gänge der Höhle, näher und näher zum Ausgang. Die Kinder hielten die Kugel hoch, das gemeinsame Licht das sie ausstrahlten, strömte hinaus wie ein unsichtbarer Schild, der die Dunkelheit fernhielt. Mit jedem Schritt spürte Mia, wie die Dunkelheit schwächer wurde.

Endlich tauchte vor ihnen der Ausgang der Höhle auf – ein schmaler, heller Streifen am Ende des steinernen Korridors. Der Stern beschleunigte, sein Licht pulsierte vor Freude, und die Kinder folgten ihm, ihre Lichtquellen noch immer vereint.

Mit einem letzten Schritt traten sie hinaus in die kühle Nacht. Die Dunkelheit der Höhle blieb hinter ihnen, und die Schatten, die ihnen nachgejagt waren, lösten sich im Schein des funkelnden Nachthimmels auf.

Der Stern hielt einen Moment in der Luft, schwebte über ihren Köpfen, als würde er sich bedanken. Dann stieg er langsam in den Himmel, immer höher, bis er schließlich zwischen den anderen Sternen des Firmaments Platz nahm.

Mia und Ben standen still, die Kugel noch immer in ihren Händen, die nun nur sanft glühte. Ihre inneren Lichter aber brannten stärker denn je.

– Kreatoren: TEAM von PusteBirke.ch –

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