Der nächste Morgen war frostig und klar. Ben und Mia standen an der alten Dorflinde, genau dort, wo sie den Stern auf der Bank gefunden hatten. Die Karte war sicher in Mias Tasche verstaut, und die Wintersonne glitzerte auf dem frisch gefallenen Schnee.
„Also, hier beginnt es“, sagte Mia und deutete auf die Karte. „Der Pfad führt erst einmal in den Wald.“
Ben schaute auf die schmale Linie, die auf der Karte eingezeichnet war. „Und was, wenn wir einfach zurückgehen und uns in der warmen Stube Kakao machen?“ Er grinste, doch Mia wusste, dass er immer noch nervös war.
„Komm schon, Ben. Wir wollten ein Abenteuer, oder? Das ist unsere Chance.“
Ben seufzte, zog seinen Schal enger um den Hals und nickte schliesslich. Gemeinsam folgten sie der Karte und betraten den Pfad, der zwischen hohen, schneebedeckten Bäumen verlief. Der Schnee dämpfte ihre Schritte, und es fühlte sich an, als ob die Welt um sie herum stiller wurde, je weiter sie gingen.
Nach einer Weile erreichten sie eine Weggabelung. Zwei Pfade führten in unterschiedliche Richtungen, und keiner von beiden war auf der Karte eindeutig markiert. Der eine Weg war breit und eben, mit klaren Fussspuren im Schnee. Der andere war schmal, verschlungen und von tief hängenden Ästen fast überwuchert. Es sah aus, als wäre dort seit Jahren niemand mehr gegangen.
„Ich wette, der breite Weg führt zu einer heissen Schokolade“, meinte Ben und zeigte auf den gut sichtbaren Pfad. „Das ist sicherer.“
Mia zog die Karte heraus und runzelte die Stirn. „Aber schau dir die Zeichnung an. Der Stern auf der Karte zeigt in Richtung des schmalen Weges. Ich glaube, das ist der richtige.“
Ben sah skeptisch aus. „Der sieht aber aus, als würde er uns direkt in Schwierigkeiten führen.“
„Vielleicht“, gab Mia zu. „Aber Oma hat gesagt, dass die richtigen Wege oft die sind, die uns am meisten herausfordern.“
Ben betrachtete die beiden Wege noch einmal. Der breite Pfad war verlockend, doch etwas in ihm – ein leises Kribbeln – sagte ihm, dass Mia recht hatte. Er stiess die Luft aus und trat auf den schmalen Weg. „Na gut, wenn du unbedingt Recht haben willst.“
Mia grinste. „Das werde ich mir merken.“
Der schmale Pfad war steiler und rutschiger, als sie gedacht hatten. Die Äste schlugen ihnen ins Gesicht, und der Schnee war so tief, dass ihre Stiefel bei jedem Schritt einsanken. Doch je weiter sie gingen, desto mehr spürten sie, dass sie richtig waren. Es war, als ob der Wald um sie herum lebendig wurde. Vögel zwitscherten in den kahlen Zweigen, und hier und da blitzten Sonnenstrahlen durch die dichten Äste.
„Siehst du?“ sagte Mia. „Manchmal muss man eben durch den schwierigen Weg, um etwas Besonderes zu finden.“
Ben wollte gerade etwas erwidern, als sie plötzlich auf eine Lichtung traten. In der Mitte stand ein alter, knorriger Baum, dessen Äste wie Arme in den Himmel ragten. Am Fuss des Baumes entdeckten sie etwas Seltsames: eine kleine, eingefrorene Pfütze, in der etwas glitzerte.
„Was ist das?“ fragte Ben und ging näher heran.
In der Pfütze lag eine kleine goldene Kugel. Sie war nicht grösser als eine Walnuss, und sie schien im Licht der Wintersonne zu leuchten. Mia kniete sich hin und hob sie vorsichtig auf. Die Kugel war überraschend warm in ihrer Hand.
„Vielleicht ein Hinweis?“ fragte Mia.
Ben zuckte mit den Schultern. „Oder ein altes Schmuckstück.“
Doch als Mia die Kugel in ihrer Hand hielt, hörten sie plötzlich ein leises Geräusch – ein Flüstern, das aus der Richtung des Baumes zu kommen schien. Die Kinder schauten sich an, und Mia legte die Kugel in ihre Tasche.
„Ich glaube, wir haben gerade unsere erste Spur gefunden“, sagte sie.
Ben nickte langsam. Obwohl er immer noch Zweifel hatte, spürte auch er, dass dieser Moment etwas Besonderes war. „Dann lass uns weitermachen.“
Die Entscheidung, den schmalen Weg zu nehmen, hatte sich als richtig erwiesen. Als die Kinder weitergingen, wurde ihnen klar, dass dieses Abenteuer mehr von ihnen fordern würde, als sie gedacht hatten. Aber sie wussten jetzt auch, dass der Mut, schwierige Entscheidungen zu treffen, Teil des Weges war.
Und tief in ihrem Inneren begannen sie zu verstehen, dass das, was sie suchten, nicht einfach nur ein Ziel war. Es war eine Reise, die sie verändern würde.
– Kreatoren: TEAM von PusteBirke.ch –