Adventsgeschichte 17: Die Reise ins Dorf der Schatten

Nachdem die Kinder die Höhle hinter sich gelassen hatten und an einem sicheren, gut geschützten Ort gerastet und sich gestärkt hatten, waren sie bereit für ihre nächste Etappe.

Nach Stunden des Wanderns hatten sie den Wald hinter sich gelassen und waren einem Kieselweg gefolgt, der bald zu einer breiten Strasse wurde, die sie zu einem Dorf führen sollte. Von weitem sahen sie die Umrisse von Häusern und freuten sich darauf die Einwohner zu treffen. Doch je näher sie kamen, desto drückender wurde die Stimmung.

Das Dorf sah komisch düster aus. Anstelle von einladenden Farben und lebendigen Stimmen wirkte alles grau und still. Die Häuser standen schief, die Fensterläden waren geschlossen, und die wenigen Menschen, die sie sahen, schlichen mit gesenkten Köpfen durch die Straßen.

„Was ist das für ein Ort?“ fragte Ben leise.

„Es sieht aus wie ein Dorf, aber… es fühlt sich so leer an“, antwortete Mia und spürte, wie die Lichtkugel in ihrer Hand nur schwach schimmerte.

Die Kinder traten vorsichtig in das Dorf. Eine alte Frau, die vor einem der Häuser saß, hob den Blick und musterte sie. Ihre Augen waren müde, und ihre Schultern hingen herab, als ob eine unsichtbare Last auf ihr lag.

„Guten Tag“, sagte Mia freundlich.

Die Frau schüttelte nur den Kopf. „Ihr solltet nicht hier sein. Dieses Dorf hat nichts für euch. Wir haben nichts für irgendjemanden.“

Ben trat näher. „Warum seid ihr alle so traurig? Ist etwas passiert?“

Die Frau seufzte. „Die Dunkelheit hat unser Licht gestohlen. Wir haben vergessen, wie es ist, glücklich zu sein. Es ist, als ob wir nur noch Schatten von uns selbst wären.“

Mia und Ben tauschten einen Blick. Die Worte der Frau erinnerten sie an die Ängste, die sie selbst auf ihrer Reise gespürt hatten – die Dunkelheit, die auch sie immer wieder zu überwältigen drohte.

„Vielleicht können wir helfen“, sagte Mia entschlossen. Sie hielt die Lichtkugel hoch, aber sie leuchtete kaum.

„Das ist nicht genug“, murmelte Ben. „Wir brauchen mehr als das Licht der Kugel.“

Mia dachte an den Spiegel der Wahrheit, den sie in der Höhle gesehen hatten. Sie erinnerte sich, wie sie dort ihre eigene innere Stärke erkannt hatte. „Vielleicht müssen wir ihnen zeigen, wie sie ihr eigenes Licht wiederfinden können“, sagte sie schließlich.

„Aber wie?“ fragte Ben.

Die Kinder überlegten, und da fiel Mias Blick auf eine Gruppe Kinder, die stumm auf der Straße saßen. Ihre Augen waren leer, und sie schauten zu Boden.

„Lass uns mit ihnen anfangen“, schlug Mia vor. Sie kniete sich hin und lächelte. „Habt ihr Lust auf ein Spiel?“

Die Kinder hoben kaum den Kopf. „Wir spielen nicht mehr“, sagte eines von ihnen.

„Dann lasst uns euch etwas zeigen“, sagte Ben plötzlich. Er hob einen kleinen Stein vom Boden auf und warf ihn in die Luft, fing ihn und ließ ihn auf seinen Händen tanzen.

Die Kinder beobachteten ihn mit einem Hauch von Interesse. Mia holte die Lichtkugel hervor, die nun ein wenig heller schien. „Seht ihr? Manchmal braucht es nur eine Kleinigkeit, um wieder Freude zu finden.“

Eines der Kinder stand zögernd auf. „Wie macht ihr das? Warum seid ihr nicht so traurig wie wir?“

Mia lächelte. „Weil wir gelernt haben, auf unser inneres Licht zu hören. Bei mir beginnt es wie eine kleine Flamme in meinem Herzen, die immer da ist – egal, wie dunkel es um dich herum ist.“

Ben war ganz eifrig:” bei mir erscheint der Funke als inneres leuchten in meinem Bauch, ihr werdet auch spüren lernen, wie es bei jedem von Euch ist, wir alle haben diese innere Kraft.”

Die Kinder schauten sich an, und langsam begann eines von ihnen zu lächeln. „Vielleicht könnten wir auch spielen…“, sagte es leise.

„Natürlich könnt ihr das“, sagte Ben.

Während sie mit den Kindern spielten, sammelten sich immer mehr Dorfbewohner um sie. Zunächst schauten sie nur zu, doch nach und nach trauten sie sich, mitzumachen – ein Lächeln hier, ein leises Lachen dort. Die grauen Schatten, die zuvor auf den Menschen lagen, begannen zu weichen, und die Farben des Dorfes kehrten langsam zurück.

Die Lichtkugel in Mias Hand leuchtete heller, und diesmal schien sie die Wärme und Freude der Dorfbewohner widerzuspiegeln.

Ein alter Mann trat schließlich zu ihnen. „Wie habt ihr das gemacht? Wir haben vergessen, wie man lebt… wie man fühlt.“

Mia sah ihm fest in die Augen. „Ihr habt nicht vergessen. Ihr habt es nur für eine Weile verloren. Aber euere Lebensfreude, Euer Leuchten war immer da – in euch selbst. Ihr müsst es nur wiederfinden.“

Ben nickte. „Und wenn ihr es teilt, wird es noch heller.“

Die Menschen im Dorf lachten und tanzten, ihre anfängliche Zurückhaltung war längst einer unbeschwerten Freude gewichen. Mia und Ben saßen am Rand des Platzes, beobachteten die ausgelassene Gemeinschaft und fühlten eine Wärme, die sie überraschte.

„Weißt du, als wir aufgebrochen sind,“ begann Ben leise, „dachte ich, wir suchen den Ort der Erfüllung. Einen Ort, an dem unsere Wünsche wahr werden.“

Mia nickte, ihr Blick ruhte auf einem kleinen Kind, das mit einem selbstgebastelten Ball spielte und dabei unaufhörlich lachte. „Ich auch. Aber jetzt verstehe ich, dass es nicht nur um uns geht. Es geht nicht nur darum, einen Stern mit seinem Licht zu befreien oder einen Wunsch erfüllt zu bekommen. Es geht darum, was wir mit dieser frei gesetzten Energie, diesem Licht tun.

Ben lächelte schwach, aber seine Stimme war fest. „Ja. Was nützen alle Sterne am Himmel, wenn die Fähigkeit und die Freude dieses Licht zu erkennen hier unten fehlt?“

In diesem Moment spürten sie beide, dass ihre Reise nicht nur ihre eigene war. Sie war Teil von etwas Größerem – etwas, das alles verband. Und das Wissen trug mehr Gewicht als jeder erfüllte Wunsch.

Die Dorfbewohner dankten den Kindern, und als sie sich am nächsten Tag auf den Weg machten, war das Dorf hinter ihnen ein ganz anderer Ort geworden – voller Leben, Freude und Licht.

Ben sah zu Mia. „Weißt du, das war irgendwie mehr als das Befreien eines Sterns. Wir haben etwas direkt bei den Menschen verändert.“

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