Adventsgeschichte: 05 Der unsichtbare Wächter

Der Wald war still, während Ben und Mia ihren Weg fortsetzten. Die goldene Kugel, die Mia gefunden hatte, lag sicher in ihrer Tasche, und immer wieder warf sie einen prüfenden Blick darauf. Sie leuchtete leicht, als ob sie einen inneren Glanz hätte, der sie zu führen schien.

„Was meinst du, wofür die Kugel gut ist?“ fragte Ben, der voranging und den Schnee mit seinen Stiefeln beiseiteschob.

„Vielleicht zeigt sie uns den Weg“, antwortete Mia. „Oder sie hilft uns, wenn wir in Schwierigkeiten sind.“

Ben seufzte. „Ich hoffe, sie kann uns zumindest sagen, wie weit wir noch gehen müssen.“

Plötzlich blieb Mia stehen. „Hörst du das?“ fragte sie und legte den Finger an die Lippen.

Ben lauschte, aber alles, was er hörte, war das leise Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln. „Ich höre nichts“, sagte er.

Mia schüttelte den Kopf. „Genau. Es ist zu still. Der Wald ist nie so leise.“

Ein seltsames Gefühl breitete sich in der Luft aus, wie eine unsichtbare Spannung, die sie beide spüren konnten. Dann, wie aus dem Nichts, tauchte ein Schatten zwischen den Bäumen auf. Es war schwer zu erkennen, aber es schien, als ob jemand sie beobachtete.

„Da ist jemand“, flüsterte Ben und zog Mia näher zu sich. „Was machen wir jetzt?“

Mia überlegte kurz. „Vielleicht will er uns helfen?“

Doch bevor sie etwas tun konnten, trat die Gestalt näher. Es war ein hochgewachsener Mann in einem langen, dunklen Mantel. Sein Gesicht war von einem breiten Hut verdeckt, und seine Bewegungen waren langsam, fast lautlos. In der Hand hielt er einen knorrigen Stock, der am Ende einen kleinen, eingravierten Stern hatte – genau wie der auf der Bank.

„Seid gegrüsst“, sagte er mit einer tiefen, ruhigen Stimme. „Ihr habt den ersten Schritt gewagt.“

Ben wollte etwas sagen, aber seine Stimme blieb ihm im Hals stecken. Mia war mutiger. „Wer sind Sie? Und warum sind wir hier?“

Der Mann lächelte leicht, doch es war ein Rätsel in seinem Blick. „Ich bin ein Wächter dieses Waldes. Ihr seid hier, weil der Pfad der Sterne euch gerufen hat. Doch nur diejenigen, die den Mut haben, weiterzugehen, werden das Ende erreichen.“

Ben verschränkte die Arme. „Was bedeutet das? Ist das eine Prüfung oder so?“

Der Wächter nickte langsam. „In gewisser Weise. Der Pfad ist nicht einfach, und er wird euch immer wieder Entscheidungen abverlangen. Aber das Wichtigste ist, dass ihr zusammenbleibt und aufeinander vertraut.“

Er hob seinen Stock, und plötzlich begann die Kugel in Mias Tasche stärker zu leuchten. „Ihr habt bereits den ersten Hinweis gefunden“, sagte er und zeigte auf die Tasche. „Die Kugel wird euch leiten, wenn ihr auf Hindernisse stosst. Doch Vorsicht: Nicht alles, was ihr sehen werdet, ist so, wie es scheint.“

Mia zog die Kugel heraus, und sie leuchtete in einem warmen, goldenen Licht. „Was sollen wir jetzt tun?“ fragte sie.

„Folgt dem Pfad“, sagte der Wächter. „Doch bevor ihr weitergeht, müsst ihr euch einer Frage stellen. Jeder von euch hat einen Wunsch in seinem Herzen, nicht wahr? Etwas, das ihr euch mehr als alles andere wünscht.“

Ben und Mia schauten sich an. Es stimmte. Ben wünschte sich, endlich mutiger zu sein, nicht immer nur der Vorsichtige zu sein, der zurück blieb. Mia wünschte sich, ihre eigene Stärke zu finden und etwas Bedeutendes zu schaffen, das wirklich zeigte, wer sie war.

„Ihr müsst eure Wünsche klar benennen“, fuhr der Wächter fort. „Nur wer weiss, wohin er will, kann den richtigen Weg finden.“

Mia nahm einen tiefen Atemzug und sprach zuerst. „Ich wünsche mir, etwas zu schaffen, das bemerkt wird und dabei meinen eigenen Weg gehen, mutig und mit Freude.

Ben folgte zögerlich, aber schliesslich sagte er: „Ich wünsche mir, keine Angst mehr zu haben und mich zu trauen, etwas zu verändern.“

Der Wächter nickte zufrieden. „Das ist der Anfang. Doch jetzt kommt die erste wirkliche Herausforderung. Der Pfad wird sich teilen, und ihr müsst entscheiden, welchen Weg ihr nehmt.“

Er deutete mit seinem Stock auf einen Punkt hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, sahen sie, dass der Pfad sich tatsächlich erneut teilte. Der eine führte hinab in ein Tal, das in dichten Nebel gehüllt war. Der andere führte auf einen schmalen Grat hinauf, wo der Wind den Schnee über die Klippen fegte.

„Das ist unfair“, murmelte Ben. „Beide Wege sehen gefährlich aus.“

„Das Leben ist nicht immer einfach“, sagte der Wächter ruhig. „Doch denkt daran: Es gibt keinen falschen Weg, solange ihr euerem Innern folgt.“

Bevor sie sich umdrehen konnten, war der Wächter verschwunden, als ob er nie da gewesen wäre. Nur seine Fussspuren im Schnee zeugten davon, dass er wirklich dort gestanden hatte.

Mia schaute Ben an. „Was machen wir?“

Ben schluckte. „Ich glaube, wir müssen auf die Kugel achten. Vielleicht zeigt sie uns, wo wir langgehen sollen.“

Mia hielt die Kugel hoch, und ihr Licht wurde heller, als sie sich dem schmalen Grat zuwandte. Es war klar, wohin der Pfad sie führen wollte.

„Der Grat“, sagte Mia. „Das ist der Weg.“

Ben zögerte, doch schliesslich nickte er. „Na gut. Aber wenn ich abstürze, war das deine Idee.“

Mia lächelte. „Du wirst nicht abstürzen. Wir schaffen das zusammen.“

Und so machten sie sich auf den Weg, das erste grosse Hindernis zu überwinden – mit der Kugel als Licht in der Dunkelheit und dem Wissen, dass sie gemeinsam weiterkommen würden.

– Kreatoren: TEAM von PusteBirke.ch

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